„Für viele Schülerinnen und Schüler ist die Realität des Holocausts heute so fern wie nie zuvor. Kein Wunder, denn die Zeitzeugen, die von den Geschehnissen vor über 80 Jahren berichten konnten, sind kaum noch unter uns. Und auch der Schule fällt es manchmal schwer, das Thema im Unterricht so zu vermitteln, dass junge Menschen den teils verharmlosenden oder relativierenden Darstellungen in sozialen Medien etwas entgegensetzen können.
Der Projektkurs Erinnerungskultur der Jahrgangsstufen 11 und 12 unter der Leitung von Geschichtslehrer Lars Röding-Jahn setzt sich seit Längerem engagiert dafür ein, die Erinnerung an die Verfolgung und Ermordung von Jüdinnen und Juden sowie anderer Opfergruppen des Nationalsozialismus wachzuhalten. Deshalb machten sich die 27 Schüler:innen des Kurses am 22. September auf den Weg nach Oświęcim, um nicht nur das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau zu besuchen, sondern sich auch mit der Geschichte der Stadt und ihrer ehemaligen Einwohner:innen auseinanderzusetzen.
Nach einem langen Anreisetag stand am Dienstag ein Ausflug nach Krakau auf dem Programm. Dort erhielten die Schüler:innen eine fachkundige Führung durch das jüdische Viertel, besuchten Drehorte des Films Schindlers Liste und das ehemalige Ghetto-Gelände, in das während des Zweiten Weltkriegs die jüdische Bevölkerung aus Teilen Polens gezwungen wurde. Im Anschluss blieb Zeit, die Stadt auf eigene Faust zu erkunden und die Eindrücke wirken zu lassen.
Am Mittwoch besuchte der Kurs das Museum der Einwohner:innen von Oświęcim, das die Geschichte der Stadt und der Region während der NS-Zeit beleuchtet. Dabei wurde auch deutlich, wie einige mutige Bürger:innen versuchten, den Häftlingen des nahegelegenen Lagers zu helfen. Am Nachmittag folgte der Besuch der beeindruckenden Kunstausstellung des Auschwitz-Überlebenden Marian Kołodziej. Seine mit Bleistift und Kugelschreiber gezeichneten Werke machen die Schrecken von Auschwitz auf erschütternde Weise sichtbar. Durch die begleitenden Erzählungen während der Führung wurde dieser Besuch für viele zu einer Art Zeitzeugengespräch, wie ein Schüler bemerkte.
Der Donnerstag markierte den wohl eindrücklichsten Teil der Fahrt: den Besuch der Lager. Zunächst führte ein Rundgang durch die Stadt Oświęcim und ihre Synagoge mit einer Ausstellung zu den früheren jüdischen Einwohner:innen. Am Nachmittag besuchte die Gruppe das Stammlager Auschwitz I und das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Spätestens beim Betreten des Tores mit der zynischen Inschrift Arbeit macht frei herrschte bedrücktes Schweigen. Die Berge aus Schuhen, Koffern und Haaren, die Porträts von Kindern und der Gang durch die erste Gaskammer ließen niemanden unberührt. In Auschwitz-Birkenau wurde schließlich das unvorstellbare Ausmaß des Grauens deutlich, das dort tagtäglich geschah. Am Abend suchten viele Schüler:innen das Gespräch untereinander und mit den begleitenden Lehrkräften, um die Eindrücke zu verarbeiten.
Die Bildungsfahrt hat alle Teilnehmer:innen tief bewegt und deutlich gemacht, dass es für die Verbrechen des Dritten Reichs kein Vergessen geben darf. Diese Reise hat eindrücklich gezeigt, dass Erinnerung kein bloßes Zurückschauen bedeutet, sondern Verantwortung für die Gegenwart und Zukunft ist. Gerade in einer Zeit, in der antisemitische und menschenfeindliche Tendenzen wieder sichtbarer werden, ist es Aufgabe jeder Generation, wachsam zu bleiben und sich für eine offene, demokratische und solidarische Gesellschaft einzusetzen.
Der Projektkurs Erinnerungskultur möchte diesen Auftrag weitertragen – durch Aufklärung, durch Gespräche und durch die Bereitschaft, hinzusehen, wenn andere wegsehen. Denn das Ende der Vorstellungskraft darf niemals das Ende des Erinnerns sein."
SR | SCG
























